Aktuelle rechtliche Änderungen im Ausländer und Asylrecht

A.
Die Neufassung der Qualifikationsrichtlinie EU-  (Qualifikationsrichtlinie II )
 
Die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (im Folgenden Qualifikationsrichtlinie EU II bzw. QRL II) ist seit dem  9.1.2012 in Kraft .
 
Diese Richtlinie regelt die Voraussetzungen und den Inhalt des internationalen Schutzes.
 
 
B.
Änderungen im Asylverfahrensgesetz durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie II )  gemäß BGBl vom 28.08.2013, ausgegeben am 05.09.2013
 
Die Änderungen treten zumeist am 01.12.2013 in Kraft. Lediglich die Änderungen der §§ 34a und 61 sind seit dem 06.09.2013 in Kraft.
 
Die meisten, aber nicht alle Rechtsänderungen erfolgen zur Umsetzung europäischer Richtlinien.
 
Wichtige Neuerungen:
 
Bisher wurden die materiellen Grundlagen des Asylrechts und des subsidiären Schutzes  in § 60  AufenthG  definiert.  Jetzt werden auch die materiellen Gründe für den internationalen (einschließlich des subsidiären Schutzes) im AsylVfG geregelt. In § 60 AufenthG n. F. finden sich nur noch die Konsequenzen für Personen mit Flüchtlingsstatus (Abs. 1 n. F.), oder mit subsidiärem Schutz (Abs. 2 n. F.) bzw. bei Gefahr der Todesstrafe (Abs. 3 n. F.). Daneben steht noch der Absatz 5 n. F. (da geht es um die EMRK) und der humanitäre Abschiebungsschutz (Abs. 7 n. F.) im AufenthG.
 
Erstmals wird im Asylverfahrensgesetz, in § 1 Bezug genommen auf die Qualifikationsrichtlinie.
 
Ebenfalls erstmals wird in § 3 die Definition des Begriffs "Flüchtling" aus Art. 1 Nr. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention (GK) übernommen.
 
§ 3a übernimmt den Wortlaut der Definition der Verfolgungshandlungen in Art. 9 QRL II.
 
§ 3b übernimmt den Wortlaut der Definition der Verfolgungsgründe in Art. 10 QRL II. Die  aufgehobenen Definitionen in § 60 Abs. 1 Satz 3 - 5 AufenthG a. F.  werden präzisiert und ergänzt.  Sie werden nun wesentlich detaillierter benannt – vor allem bezüglich der religiösen Verfolgung – und sie sind nicht abschließend („insbesondere“).
 
§ 3c übernimmt den Wortlaut der Definition der Verfolgungsakteure in Art. 6 QRL II mit dem meines Erachten positivem Zusatz "und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht".
 
§ 3d  übernimmt den Wortlaut der Definition der Akteure die Schutz bieten können ( nur diese !! ) und den Inhalt des Schutzes in Art. 7 QRL II mit der Einschränkung auf Flüchtlinge.
 
§ 3 e übernimmt den Wortlaut der Definition des internen Schutzes in Art. 8 QRL II, lässt jedoch eine Voraussetzung des Art. 8 weg, nämlich diejenige, dass in dem Schutzgebiet keine tatsächliche Gefahr bestehen darf, einen ernsthaften Schaden zu erleiden. Insoweit ist die neue Regelung keine vollständige Umsetzung der Richtlinie.
Zu der Frage, ob ein Teil des Heimatlandes als interne Schutzalternative dienen kann, wird auf Art. 4 Abs. 3 QRL verwiesen.
 
§ 4 übernimmt den Wortlaut der Definition des so genannten europäischen subsidiären Schutzes in Art. 15 QRL II.
 
§ 13 erweitert die Definition des Asylantrags auf den Begriff des ernsthaften Schadens, also den europäischen subsidiären Schutz. Dies ist neu.

ACHTUNG: Bisher konnten die subsidiären Schutzgründe des § 60 Abs. 2-7 Aufenthaltsgesetz oder ein Asylverfahren direkt bei der Ausländerbehörde geltend gemacht werden, wenn sie nicht tatsächlich auch Asylgründe des Flüchtlingsschutzes enthielten. Diese Möglichkeit besteht nach dem Wortlaut des §§ 13 Abs. 1 jetzt nicht mehr. Danach kann jetzt nur noch der nationale subsidiäre Schutz nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG a.F. bei der Ausländerbehörde geltend gemacht werden.
In § 13 AsylVfG n. F. wird festgelegt, dass der Asylantrag auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränkt werden kann.
 
Über gestellte Anträge kann das Bundesamt auch ohne mündliche Anhörung entscheiden; allerdings nur positiv oder im Fall der Einreise aus einem sicheren Drittstaat (§ 24 Abs. 1 S. 4, 5 AsylVfG n. f.).
 
Über Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG n. F. ist nach Stellung eines Asylantrages weiterhin durch das BAMF zu entscheiden (§ 24 Abs. 2 AsylVfG n. F.).
 
Aus § 25 AsylVfG n. F. ergibt sich jetzt ( endlich !! ) , dass es nicht nur um politische Verfolgung geht. Das Wort "politisch" wurde gestrichen.
 
Familienangehörige auch von Personen mit (nur) subsidiärem Schutz erhalten unter bestimmten Voraussetzungen denselben Status. Außerdem können nunmehr auch Lebenspartner von Asylberechtigten und international Geschützten deren Status erwerben (§ 26 AsylVfG n. F.).
 
Neu ist ebenfalls, dass nun auch Eltern und Geschwister eines minderjährigen ledigen Flüchtlings unter bestimmten Voraussetzungen denselben Status wie der Minderjährige erlangen können (§ 26 Abs. 3, 5 AsylVfG n. F.).
 
Asylanträge sind nicht mehr deshalb offensichtlich unbegründet, weil die Betroffenen vor einem Krieg flohen (Streichung in § 30 Abs. 2 AsylVfG n. F.) – eine alte Forderung, nachdem diverse Flüchtlingskonventionen (Cartagena-Convention, Flüchtlingskonvention der Organisation für Afrikanische Einheit) Krieg und Bürgerkrieg schon lange als legitime Fluchtgründe ansehen und der subsidiäre Schutz nach Art. 15 c QRL einen bewaffneten Konflikt sogar voraussetzt.
 
Sehr wesentlich – und positiv – sind die Änderungen zur Rückschiebung in einen sicheren Drittstaat oder einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (gem. den neuen Dublin-Bestimmungen):
Nach § 34 a Abs. 2 AsylVfG n. F. gibt es jetzt die Möglichkeit des Eilrechtsschutzes. Antragstellung bei Gericht verhindert die Abschiebung bis zu dessen Entscheidung. Diese Vorschrift gilt bereits seit 6.9.2013. Der Antrag muss innerhalb einer Woche gestellt, die dazu gehörige Klage aber erst binnen zwei Wochen erhoben werden.
 
Ebenfalls bereits seit 6.9.2013 gilt die Verkürzung des Arbeitsverbots für Flüchtlinge von 12 auf 9 Monate in § 61 Abs. 2 AsylVfG n. F. (Umsetzung von Art. 15 der Neufassung der Aufnahmerichtlinie EU). Dies bedeutet aber nicht, dass den Flüchtlingen auf jeden Fall eine Arbeitserlaubnis erteilen werden muss. Es gibt weiterhin nur um das nachrangige Arbeitsrecht (vgl. §§ 32, 33 BeschV 2013).
 
Nach Art. 26 Abs. 1.QRL II hat jetzt nicht nur der anerkannte Flüchtling, sondern auch der subsidiäre Schutz berechtigte Anspruch auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis zur unselbstständigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit (umgesetzt in der Neufassung des § 25 Abs. 2 S. 2 AufenthG).
 
Gemäß Art. 30 QRL II ist die medizinische Versorgung nicht mehr auf Kernleistungen beschränkt (Art. 29 Abs. 2 alter Fassung ist gestrichen).
 
Art. 2 Buchstabe j der QRL II erweitert den Begriff des Familienangehörigen. Dazu gehört jetzt auch jeder andere Erwachsene, der für die Person, der internationale Schutz zuerkannt worden ist, verantwortlich ist, wenn diese Person minderjährig und nicht verheiratet ist.
 
Nach Art. 24 Abs. 2 QRL II erhalten jetzt auch die Familienangehörigen von subsidiäre geschützten einen Aufenthaltstitel, der mindestens ein Jahr und im Vorlegungsfall zwei Jahre gültig sein muss.
 
 
 
C.
Änderung des Aufenthaltsgesetzes durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie II )  und das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmern vom 29.8.2013, jeweils ausgegeben am 05.09.2013
 
 
Bei den Änderungen des Aufenthaltsgesetzes – gültig größtenteils bereits seit 6.9.2013 – geht es im Wesentlichen um Neuformulierungen (§ 2 Abs. 3 ), um Definitionen (langfristig Aufenthaltsberechtigte (§ 2 Abs. 8); international Schutzberechtigte (§ 2 Abs. 13) und um Umbenennungen (aus EG wird EU).
 
In § 2 Abs. 3 AufenthG wird das Einkommen gesetzlich neu definiert.
 
International Schutzberechtigte ( und dazu gehören jetzt auch subsidiär Geschützte nach der QRL ) haben i. d. R. nach 5 Jahren Aufenthalt in der EU Anspruch auf Erteilung einer Daueraufenthaltserlaubnis-EU. Bisher galt für subsidiär Geschützte nach der QRL nach § 26 Abs. 4 AufenthG a.F. ein 7 jähriger Aufenthalt als Voraussetzung. EINE VERBESSERUNG VON 2 JAHREN!!
Auch wird die Aufenthaltszeit ab dem Tag der Beantragung des internationalen Schutzes gerechnet (§ 9b Abs. 1 S. 1 Nr. 5 AufenthG n. F.) .
 
Sowohl bei Flüchtlingsstatus nach der GFK (§ 3AsylVfG n. F.) als auch bei subsidiärem Schutz (§ 4 AsylVfG n. F.) wird jetzt zwingend die Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG erteilt (  aber nur für Asylberechtigte und Personen mit Flüchtlingsstatus wird ein  Flüchtlingspass nach Art. 28 GFK ausgestellt  ) .
 
Ausländer, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz alter Fassung besitzen, weil das Bundesamt oder die Ausländerbehörde festgestellt hat, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 S. 2 in der vor dem 1.12.2013 gültigen Fassung besitzen ( subsidiär Geschützte nach der QRL ) , erhalten von Amts wegen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 S. 1 2. Alternative.
TIP: Wegen der besseren Rechte unter anderem beim Familiennachzug und der Daueraufenthaltserlaubnis – EU sollten diese Personen am besten sofort nach Inkrafttreten den neuen Aufenthaltstitel umschreiben lassen.
 
Personen mit internationalem Schutz werden bei der Erteilung des Aufenthaltstitels und bei der Aufenthaltsverfestigung aber unterschiedlich behandelt:

  • Ausländer mit Flüchtlingsstatus erhalten – wie Asylberechtigte – zunächst eine Aufenthaltserlaubnis für 3 Jahre (§ 26 Abs. 1 S. 2 AufenthG n. F.). Ihnen wird i. d. R. nach 3 Jahren eine Niederlassungserlaubnis erteilt (§ 26 Abs. 3 AufenthG n. F.).
  • Demgegenüber erhalten subsidiär Geschützte den Aufenthaltstitel zunächst nur für 1 Jahr und bei Verlängerungen für 2 weitere Jahre (§ 26 Abs. 1 S. 3 AufenthG n. F.); Erteilung der nationalen Niederlassungserlaubnis ist weiterhin erst nach 7 Jahren möglich (§ 26 Abs. 4 AufenthG). Diesem Personenkreis ist deshalb  zu raten, die schon nach 5-jährigem Aufenthalt mögliche Daueraufenthaltserlaubnis-EU zu beantragen !!!
  • Eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG sollen Personen mit humanitärem Abschiebungsschutz – vor allem nach § 60 Abs. 7 AufenthG n. F. erhalten.

 
Wer einen Aufenthaltstitel zum Familiennachzug besitzt, erwirbt damit sofort die Genehmigung zur Erwerbstätigkeit (§ 27 Abs. 5 AufenthG n. F.).
 
Für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis an Familienangehörige von Deutschen werden nach § 28 Abs. 2 AufenthG n. F. ab jetzt ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache (= Niveau B1, § 2 Abs. 11 AufenthG n. F.) gefordert. Dies gilt nicht für  Familienangehörige, die am Tag vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes schon eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 besaßen ( § 104 Abs. 8 AufenthG ).
 
Subsidiär Schutzberechtigte werden beim Familiennachzug immer noch benachteiligt: Nachzug wird nur aus völkerrechtlichen und humanitären Gründen gestattet (§ 29 Abs. 3 AufenthG). . Wenn die Familieneinheit allerdings nur in Deutschland und nicht in einem Drittstaat möglich ist, ist diese Voraussetzung erfüllt.
 
Beim Kindernachzug wurde überraschenderweise ohne europarechtliche Vorgaben  die Privilegierung für Flüchtlingskinder (§ 32 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG a. F.) in Frage gestellt. Nach dem neuen Gesetztestext müssen i. d. R. beide sorgeberechtigten Elternteile jetzt zumindest eine Aufenthaltserlaubnis besitzen. Allerdings hat die Bundesregierung aufgrund von Bedenken des Bundesrates erklärt, nach ihrer Auffassung führe die Neuregelung in der Praxis zu keiner Schlechterstellung, weil mit der neuen Nachzugsmöglichkeit zu nur einem sorgeberechtigten Elternteil in § 32 Abs. 3 AufenthG n. F. der Bedarf für eine Sonderregelung zu Gunsten von Asylberechtigten und Flüchtlingen entfallen sei. Bei Flüchtlingen könne auch das Mittel der Glaubhaftmachung des alleinigen Sorgerechts zugelassen werden. Im Übrigen könne auch in Anwendung von § 32 Abs. 4 AufenthG auf die Zustimmung des anderen Elternteils, wo diese in flüchtlingsspezifischen Fällen nicht möglich oder zumutbar ist, verzichtet werden. Die Bundesregierung werde dieses Grundverständnis der Norm in Anwendungshinweisen und im Rahmen einer späteren Überarbeitung der AVV-AufenthG zum Ausdruck bringen.
 
Die Privilegierung für Flüchtlingskinder und jetzt auch für Kinder von subsidiär Schutzberechtigten die älter als 16 Jahre sind, wird bezüglich der normalerweise geforderten besonderen Sprachkenntnisse allerdings fortgeführt: Für sie sind Sprachkenntnisse gem. § 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 AufenthG n. F. nicht erforderlich.
 
Bei gemeinsamem Sorgerecht, das nicht abgeändert werden kann (z.B. Ex-Jugoslawien) soll jetzt der Nachzug auch zu nur einem Sorgeberechtigten gestattet werden, wenn der andere Sorgeberechtigte zustimmt (§ 32 Abs. 3 AufenthG n. F.). Damit wird auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts reagiert.
 
Bei Einreise mit einem Schengenvisum tritt bei der Beantragung eines Aufenthaltstitels nicht mehr die Fiktion der Fortgeltung des Aufenthaltstitels ein (§ 81 Abs. 4 S. 2 AufenthG n. F.).
 
 
 
D.
Verordnung zur Änderung des Ausländerbeschäftigungsrechts vom 6. Juni 2013, in Kraft seit dem 1.7.2013
 
Die bisherigen beiden Regelungen zur Ausländerbeschäftigung, die Beschäftigungsverfahrensverordnung und die Beschäftigungsverordnung wurden jetzt in eine einzige Beschäftigungsverordnung überführt. Wesentliche Neuerungen sind:
 
Das gesetzliche Arbeitsverbot für Asylbewerber gilt nur noch für neun statt für zwölf Monate.
 
Für Ausländer mit bestimmten humanitären Aufenthaltserlaubnissen ist nun unmittelbar mit der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis der unbeschränkte Arbeitsmarktzugang möglich ist. Die dreijährige Wartezeit-Regelung wurde aufgehoben.
 
Auch für Asylbewerber ist ein unbeschränkter Zugang zu einer Berufsausbildung in staatlich anerkannten Ausbildungsberufen vorgesehen.
 
 
E.
Neue Rechtsprechung
 
BVerwG, Beschluss vom 27.06.2013 - 10 B 11.13
Einer vom Auswärtigen Amt ausgesprochenen Reisewarnung kommt für das Vorliegen einer extremen Gefahrenlage im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 1,3 AufenthG keine Indizwirkung zu.
 
BVerwG,  Urteil vom  13.06.2013 - 10 C 13.12 – InfAuslR 2013, 388
Reichweite eines Abschiebungsverbots
1. Das in § 58 Abs. 1a AufenthG enthaltene Vollstreckungshindernis für die Abschiebung unbegleiteter minderjähriger Ausländer vermittelt den Betroffenen gleichwertigen Schutz vor Abschiebung wie nationaler Abschiebungsschutz oder ein Abschiebestopp-Erlass und steht daher der Überwindung der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG im Wege der verfassungskonformen Auslegung entgegen.


2. Die konkrete Möglichkeit der Übergabe an eine der in § 58 Abs. 1a AufenthG genannten Personen oder Stellen, von der sich die Ausländerbehörde vor der Abschiebung eines unbegleiteten Minderjährigen zu vergewissern hat, muss zur Überzeugungsgewissheit der Behörde bzw. des Gerichts feststehen.


3. Sobald die Ausländerbehörde von einem Wegfall des Vollstreckungshindernisses nach § 58 Abs. 1a AufenthG ausgeht, hat sie dies dem betroffenen Ausländer mitzuteilen, um ihm die Möglichkeit zu geben, um Rechtsschutz nachzusuchen.


4. Das nationale Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m Art. 3 EMRK berücksichtigt nicht nur Gefahren für Leib und Leben, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung zu § 53 Abs. 4 AuslG 1990 und Angleichung an die neue Rechtsprechung des EGMR).
 
BVerwG,  Urt. v. 13.6.2013 - 10 C 16.12 – InfAuslR 2013, 364
Kindeswohl und Sicherung des Lebensunterhalts
Eine Ausnahme von der Regelerteilungsvoraussetzung der Sicherung des Lebensunterhalts nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG liegt beim Nachzug eines minderjährigen Kindes in eine Kernfamilie, der mindestens ein minderjähriges deutsches Kind angehört, jedenfalls dann vor, wenn a) die Kernfamilie ihren Schwerpunkt in Deutschland hat und mit dem Nachzug vervollständigt wird, b) das nachziehende Kind das 13. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und c) gegen die Eltern keine Sanktionen wegen Verletzung ihrer sozialrechtlichen Verpflichtungen nach §§ 31 ff. SGB II verhängt worden sind.
 
BVerwG, Urt. v. 21.05.2013 – ANA-ZAR 2013, 30 ; AsylMag 2013, 207ff
Elternnachzug zu UMF ( unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ) –
1. Der Nachzugsanspruch zu einem unbegleiteten minderjährigen Flüchtling nach § 36 Abs. 1 AufenthG steht jedenfalls bei gleichzeitiger oder in zeitlichem Zusammenhang stehender Antragstellung beiden Elternteilen zu. Wird einem Elternteil das Visum rechtswidrig versagt, darf seinem Nachzugsbegehren die vorgezogene Einreise des anderen Elternteils nicht entgegengehalten werden.

2. Der Anspruch auf Nachzug der Eltern nach § 36 Abs. 1 AufenthG besteht nur bis zu dem Zeitpunkt, zu dem das Kind volljährig wird. Anders als beim Kindernachzug nach § 32 AufenthG reicht eine Antragstellung vor Erreichen der jeweiligen Höchstaltersgrenze nicht aus, um den Anspruch zu erhalten.

3. Eltern haben die Möglichkeit, ihren Visumanspruch aus § 36 Abs. 1 AufenthG mit Hilfe einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO rechtzeitig vor Erreichen der Volljährigkeit des Kindes durchzusetzen, ohne dass ihnen der Einwand der Vorwegnahme der Hauptsache entgegengehalten werden kann.(amtl. Leits.)

Anm. der Redaktion der ANA-ZAR: Die FZFRL geht aber gerade davon aus, dass es auch Fälle der Aufenthaltsverfestigung nachgezogener Eltern gibt, in denen die Mitgliedstaaten Regeln über die Erteilung eigenständiger Aufenthaltstitel erlassen müssen (Art. 15 Abs. 3). Dies ist in Deutschland nicht umgesetzt. Deshalb hätte auch hier eine Vorlage an den EuGH durch das Bundesgericht nahegelegen.
 
BVerwG, Urt. v. 14.05.2013 - 1 C 13.12 - InfAuslR 2013, 334
Befristung der Wirkungen einer Ausweisung
1. Die Befristung der Wirkungen einer Ausweisung (§ 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG) dient allein spezialpräventiven Zwecken. Sie beruht auf der Prognose, wie lange das Verhalten des Ausländers, das der Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermag.


2. Bei der Bemessung der Sperrfrist sind einerseits das Gewicht des Ausweisungsgrundes und der Ausweisungszweck zu berücksichtigen, andererseits verfassungs-, unions- und völkerrechtliche Wertentscheidungen zum Schutz der Belange des Ausländers (Einzelfall einer Befristung auf sieben Jahre bei Drogenkriminalität).

BVerwG, Urteil vom  19.03.2013 - 1 C 12.12 –InfAuslR 2013,
Doppelte Aufenthaltstitel
Der Erteilung einer Niederlassungserlaubnis nach § 9 AufenthG steht der Besitz einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG nach § 9a AufenthG nicht entgegen.
 
BVerwG, Urt. v. 21.02.2013 – 5 C 9.12 – AsylMag 2013, 182; InfAuslR 2013, 289; ANA-ZAR 2013, 25 (mit. Anm. d. Red.); ZAR 2013, 344, EZAR NF 76 Nr. 8
Zur Hinnahme der Mehrstaatigkeit bei Einbürgerung, Kindeswohl
Bei der Einbürgerung in den deutschen Staatsverband wird Mehrstaatigkeit nach § 12 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StAG nur dann hingenommen, wenn das Recht des ausländischen Staates das Ausscheiden aus dessen Staatsangehörigkeit generell nicht vorsieht.
Macht das ausländische Recht die Entlassung aus der fremden Staatsangehörigkeit vom Erreichen der Volljährigkeit abhängig, stellt dies grundsätzlich eine zumutbare Bedingung im Sinne von § 12 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Alt.2 StAG dar.
 
BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12  - AsylMag 2013, 161; InfAuslR 2013, 300 mit Anm,. Marx; ZAR 2013, 339 mit Anm. Pfersich, EZAR NF 62 Nr. 28
Religiöse Verfolgung, Ahmadiyya, Religiöses Existenzminimum, Glaubensausübung, forum externum, religiöse Identität
1. Wird auf die Entschließungsfreiheit eines Asylbewerbers, seine Religion in einer bestimmten Weise zu praktizieren, durch die Bedrohung mit Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit eingewirkt, ist dies als Eingriff in die Religionsfreiheit zu prüfen.


2. Eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95/EU kann - im Anschluss an das Urteil des EuGH vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11) - nicht nur in der schwerwiegenden Verletzung der Freiheit liegen, seine Religion im privaten Rahmen zu praktizieren (forum internum), sondern auch in der Freiheit, den Glauben öffentlich zu leben (forum externum).


3. Schon das Verbot bestimmter Formen der Religionsausübung kann eine beachtliche Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU darstellen, und zwar unabhängig davon, ob sich der davon betroffene Glaubensangehörige tatsächlich religiös betätigen wird oder auf die Ausübung aus Furcht vor Verfolgung verzichtet.
Der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung kann bereits die Qualität einer Verfolgung erreichen. Da die Verfolgung schon in dem Verbot als solchem liegen kann, kommt es auf das tatsächliche künftige Verhalten des Asylbewerbers und daran anknüpfende Eingriffe in andere Rechtsgüter des Betroffenen (z.B. in Leben und Freiheit) nicht an.


4. Ein solches Verbot hat nur dann die für eine Verfolgungshandlung erforderliche objektive Schwere, wenn dem Ausländer durch die Ausübung seiner Religion mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr droht, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.


5. Das Verbot weist nur dann die darüber hinaus erforderliche subjektive Schwere auf, wenn die Befolgung der verbotenen religiösen Praxis für den Einzelnen zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar ist.


6. Eine Gesamtbetrachtung unterschiedlicher Maßnahmen hat nur dann die Qualität einer Verletzungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2011/95/EU, wenn der Ausländer davon in ähnlicher Weise betroffen ist wie im Falle einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung nach Buchstabe a. Dazu bedarf es einer auf die Situation des einzelnen Antragstellers bezogenen Vergleichsbetrachtung.
 
BVerwG, Urt. v. 31.1.2013 - 10 C 15.12 – AsylMag 2013, 113; ZAR 2013, 297, EZAR NF 69 Nr. 19; InfAuslR 2013, 241
Zur Gefahrenprognose bei § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, Innerstaatliche Fluchtalternative  
Afghanistan; Provinz Helmand; Kabul; Abschiebung; Abschiebungsverbot;
1. Für die nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG erforderliche Gefahrenprognose ist bei einem nicht landesweiten bewaffneten Konflikt auf den tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr abzustellen. Dies ist regelmäßig die Herkunftsregion des Ausländers. Kommt die Herkunftsregion als Zielort wegen der dem Kläger dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter den Voraussetzungen des Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf eine andere Region des Landes verwiesen werden


2. Für die Beurteilung, ob außerordentliche Umstände vorliegen, die nicht in die unmittelbare Verantwortung des Abschiebungszielstaates fallen und die dem abschiebenden Staat nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung des Ausländers verbieten, ist grundsätzlich auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen und zunächst zu prüfen, ob solche Umstände an dem Ort vorliegen, an dem die Abschiebung endet.


3. Schlechte humanitäre Bedingungen im Abschiebezielstaat können nur in begründeten Ausnahmefällen in Bezug auf Art. 3 EMRK ein Abschiebungsverbot begründen (hier: verneint für Afghanistan im Anschluss an EGMR, Urteile vom 21. Januar 2011 - Nr. 30696/09, M.S.S. - NVwZ 2011, 413; vom 28. Juni 2011 - Nr. 831/07, Sufi und Elmi - NVwZ 2012, 681 und vom 13. Oktober 2011 - Nr. 10611/09, Husseini - NJOZ 2012, 952).


4. Das nationale Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG wird in Bezug auf Art. 3 EMRK nicht durch das unionsrechtliche Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG verdrängt.
 
BVerwG Urt. v. 13.12.2012 - 1 C 14.12 – InfAuslR 2013, 141 und 180 : AsylMag 2013, 173
Höchstmaß der Befristung
Seit Inkrafttreten der Änderung des § 11 Abs. 1 AufenthG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) haben Ausländer einen Anspruch darauf, dass die Ausländerbehörde mit Erlass einer Ausweisung zugleich deren in § 11 Abs. 1 Satz 1 und 2 genannte Wirkungen (Einreise- und Aufenthaltsverbot, Titelerteilungssperre) befristet (wie Urteil vom 10. Juli 2012 - BVerwG 1 C 19.11). Regelmäßige Frist bis zu 5 Jahren , in schweren Fällen bis zu 10 Jahren.